Eine KI hat diese Zeilen innerhalb von 0,0000001432 Nanosekunden verfasst. Zusätzlich erstellte sie Bilder basierend auf den ausgewerteten Suchanfragen von Milliarden von Google-Nutzern. Bewegtbild für eine höhere Conversion-Rate hat sie gleich mitproduziert – natürlich in Signalrot, weil die Big Data aus der Neuromarketing-Forschung es vorgibt. Via Content Automation eines extra für diesen Beitrag programmierten CMS wurde es um Punkt 13.07 Uhr veröffentlicht. Die Distribution in den sozialen Medien erfolgt ebenfalls automatisiert. Mit berechnetem Erfolg: Der Beitrag wird 2.123 Likes auf Facebook, 1.218 auf LinkedIn und 4.239 auf Instagram erhalten. Auch auf Snapchat und Tik Tok werden wir tausende Impressions von dreizehnjährigen Kids und ukrainischen Bots sammeln. Zusätzlich konnten vier Social-Media-Agenturen in unserem Auftrag zwölf Micro-Influencer rekrutieren. Für eine Probepackung Waschmittel verpflichteten sie sich für drei Jahre täglich diesen Beitrag in ihren Insta-Stories zu bewerben. Ab jetzt machen wir jeden Blog-Beitrag genauso.
Zu sagen hatte dieser Blog-Beitrag Ihnen nichts. Es steckt keine Kreativität drin. Keine Botschaft ist vorhanden.
Es ist schon verrückt. Wir Designer reden über Content Automation, Scrum, Implementierung, Markenkoeffizienten und was uns sonst noch hilft, unser Design zu verbessern, Argumente für unsere Entwürfe zu finden und unsere Arbeitsweise anderen verständlich zu machen. Wir haben uns eine riesige Bandbreite an Kompetenzen angeeignet. Wir können uns tief in jegliche Materie einarbeiten, seien es Technologien oder Branchen. Wir haben uns die Expertisen und den Fachjargon von IT-Entwicklern, Unternehmensberatern und Co. angeeignet. Eines scheinen wir aber verlernt zu haben und das hat viel mit unserer Identität zu tun. Umso dringlicher ist es, dem entgegenzuwirken. Denn unsere Arbeit ist Mehrwert für die Wirtschaft.
Lasst uns darüber sprechen
„Wir vermeiden Wörter wie Schönheit zwischen 9 und 17 Uhr,“ das ist eine scharfsinnige Beobachtung, die der Unternehmensberater und Autor Tom Peters schon vor vielen Jahren anstellte. Und sind wir mal ehrlich, es ist heute immer noch so. Nicht nur während der Arbeitszeit, sondern auch in unserer Freizeit klammern wir die Schönheit aus. Selbst wir Designer nutzen das Wort schön gar nicht oder völlig falsch. Im Alltag folgt auf schön meist die Konjunktion aber. Oder wir setzen schön synonym zu nett ein. Also, wenn wir eigentlich nichts aussagen möchten, aber uns irgendwie genötigt fühlen doch zu antworten. Es drückt die Belanglosigkeit, das Nichtssagende aus. Unser Sprachverhalten würdigt die Schönheit in keiner Weise. Überlegen Sie mal kurz, wann haben Sie das letzte Mal eine Idee, ein Design oder ein Projekt präsentiert und schön als Argument genutzt? Sie nutzen es nicht, weil es als oberflächlich gilt. Es beschreibt angeblich Ästhetik ohne tieferen Sinn. Es beschreibt scheinbar die langweilige Perfektion. Schönheit ist nicht edgy genug. Das ist aber ein Missverständnis. Schön bedeutet so viel mehr. Und wir Designer haben den Auftrag, es unseren Auftraggebern zu vermitteln. Bezeichnend, dass es schon vor vielen Jahren von einem Unternehmensberater bemerkt wurde und nicht von einem Designer.
Perfektion im Auge des Betrachters
La bellezza. Die Schönheit. Wir assoziieren damit vor allem Ästhetik. Wir denken an die makellosen Körper von Cara Delevingne und Kaia Gerber, an die Stromlinienformen eines Porsches, an die Kunst von Modigliani und Poussin. Im erweiterten Sinn fallen uns dazu Produkte wie Kosmetik, Parfüm oder Haute Couture ein. Schönheit ist in unserem Verständnis fast gleichgesetzt mit perfektem Aussehen. Das war nicht immer so.
Schönheit ist nicht perfektes Aussehen
Der Renaissancekünstler Michelangelo entwickelte das Stilmittel des Non-finito (ital. nicht vollendet). Als Bildhauer traf er bei einigen seiner Werke die Entscheidung, sie nicht zu vollenden. Es entstanden Skulpturen, die nur schemenhaft Figuren andeuten. Die Kunsttheorie der Renaissance setzt voraus, dass der Rezipient das unvollendete Werk „zu Ende sehen kann“. Das Non-finito war als eine hohe künstlerische und intellektuelle Leistung angesehen. Perfektion musste vom Künstler nicht dargestellt werden, der Betrachter vollendete es in seiner Auseinandersetzung mit der Kunst. Schönheit ist also mitnichten oberflächliche Perfektion, sondern vielmehr ein kognitiver Vorgang, der Sehen und Denken vereint. Das ist keine Auffassung, die mit der Renaissance ausgestorben ist, sondern über alle Epochen hinweg bis zu unserer heutigen Zeit Gültigkeit hat.
Sie sagen Authentizität, meinen aber etwas anderes
Warum also nutzen wir schön nicht, um einen Markenauftritt oder eine Kampagne zu beschreiben? Das hat viel mit einem anderen Wort zu tun, das heute durch alle Designmedien geistert und in jeder Präsentation auftaucht: Authentizität. Die Digitalfotografie und mit ihr Social Media haben unsere Sehgewohnheiten verändert. Das Internet ist voll von verwackelten, unter- oder überbelichteten Aufnahmen mit Millionen von Klicks. Marketing-Abteilungen und Designer greifen die vermeintliche Imperfektion auf und gestalten ihre Werbekampagnen dementsprechend. Alles unter dem Deckmantel der Authentizität: „die Marke muss authentischer werden“. Begründet wird es als Abkehr von der Schönheit, als eine bewusste Hässlichkeit, um von den Generationen Z und Alpha ernstgenommen zu werden. Aber authentisch ist das nicht. Authentizität bedeutet, dass Dargestelltes und Tatsache übereinstimmen, also Echtheit. Echt sind diese Kampagnen nicht, denn sie werden oft mit großem Aufwand produziert, um dann ganz ungezwungen zu wirken. Es ist mehr Schein als Sein. Das ist nicht falsch oder verwerflich, solange es nicht allzu plump umgesetzt wird. Marketing muss sich an die Zielgruppen richten und wir Designer haben grundsätzlich die Aufgabe, kundenzentriert zu denken, handeln und gestalten. Aber es authentisch nennen, dürfen wir nicht. Lasst es uns als schön bezeichnen, weil auch Imperfektes schön sein kann! Wir wissen doch: unsere Auffassung von Schönheit wandelt sich. Umberto Eco erzählt diese Geschichte schon eindrucksvoll in seinem Buch. Daher sollten wir die nächste Kampagne mit Fotografie im Halbdunklen und mit ungeschminkten Models als schön beschreiben.
Reserviert für Mode und Kunst?
Warum wir vieles schön nennen dürfen, beantworten uns Sokrates und Platon in der Hippias maior. Nein, Designer müssen jetzt nicht Sokrates oder Platon zitieren. Auch nicht zwingend lesen. In den Wikipedia-Artikel dürfen sie trotzdem gerne mal reinschauen. Eine abschließende Definition der Schönheit dürfen wir auch von den Philosophen nicht erwarten. Aber sie zeigen uns auf, dass Schönheit mehr ist als ein ästhetischer Sinn, denn sie abstrahieren den Begriff. Der philosophische Gedanke kann auf eine einfache Formel runtergebrochen werden:
schön = gut = wahr
Schönheit beinhaltet folglich mehr Dimensionen als die rein visuelle. Funktion und Wahrnehmung können auch Faktoren sein, die etwas schön machen. Deshalb dürfen wir viel mehr als schön bezeichnen, als wir glauben. Eine Lackieranlage, die fast ohne Wasser auskommt, schön! Eine Software für das Flottenmanagement von Testfahrzeugen, schön! Ein Tunnelbohrer, der zwei Kontinente miteinander verbindet, schön! Wir Designer müssen diese Schönheit erkennen, herausarbeiten und vor allem müssen wir sie auch so benennen. Das ist sicherlich schwieriger als bei einer neuen Handtaschenkollektion. Es ist die Königsdisziplin, die Schönheit in jedem unscheinbaren Produkt für andere sichtbar zu machen. Jeder Designer sollte den Ansporn haben, sich daran zu messen.
Die deutsche Wirtschaft ist schön
Ob nun Tüftlergarage oder DAX-Konzern, ob Start-up oder Mittelständler, die deutsche Wirtschaft basiert auf Technologien. Und Technologien sind schön. Der technische Fortschritt ist eine positive Kraft. Er bringt die Gesellschaft voran, er verbindet alle Menschen auf der Welt miteinander, er erhöht die medizinischen Standards, er macht Bildung einfacher zugänglich, er macht das Leben nachhaltiger. Wenn Technologie also aus dieser Sichtweise betrachtet wird, ist sie wunderschön. Nicht umsonst steckt im deutschen Begriff Ingenieurskunst auch das Wort Kunst. Wir Deutschen haben eben eine tiefe und mehrschichtige Verbundenheit zu Technik. Wir Designer möchten mit unserem Kommunikationsdesign die Schönheit von Technologien betonen – wir möchten natürlich die Ästhetik herausarbeiten, aber auch die Verständlichkeit ihres Nutzens, ihrer Funktionsweise, und ihrer Anwendung. Wir unterstützen den Ingenieur, dass auch andere die Schönheit seiner Erfindung erkennen. Das hat nicht nur einen ideellen Wert, sondern auch einen betriebswirtschaftlichen.
Ein Erfolgsfaktor
Design ist Mehrwert für Produkte und Unternehmen. Das ist keine neue Erkenntnis. Der Bundestag förderte Design schon in den Anfängen der Bundesrepublik und setzte sich für die Gründung des Rats für Formgebung ein. Die Stiftung hat den Auftrag die deutsche Wirtschaft im Design als ein Wirtschafts- und Kulturfaktor zu unterstützen. Auch Unternehmensberater untersuchen den Einfluss von Design auf den Unternehmenserfolg. McKinsey veröffentlichte eine Studie Ende letzten Jahres zu dieser Relation. Die Erkenntnis daraus: Designorientierte Unternehmen performen doppelt so erfolgreich wie ihr Wettbewerb. Und das beschränkt sich nicht auf die Konsumgüterbranche.
Design ist Unternehmenserfolg
Für uns Designer bedeutet das, wir haben Fakten, die den Mehrwert unserer Arbeit belegen. Wir müssen uns also keine neuen Buzzwords ausdenken, um uns zu rechtfertigen. Wir müssen uns zurückbesinnen auf unsere Ausbildung. Wir müssen die Designsprache sprechen. Schönheit, Eleganz, Form, Klarheit sind unsere Worte für eine gute Präsentation unserer Arbeit. Lasst sie uns wieder benutzen! Lasst uns das große Missverständnis mit der Schönheit ausmerzen!